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Assistierte Reproduktion

Schweizer:innen offen gegenüber dem «Nachhelfen» beim Kinderkriegen

Wenn Paare ungewollt kinderlos bleiben, können sie sich heute medizinische Unterstützung holen. Wie oft wird das gemacht? Und wie beurteilt die Schweizer Bevölkerung das «Nachhelfen» beim Kinderkriegen? Eine repräsentative Studie liefert erstmals in der Schweiz Daten zur medizinisch unterstützten Reproduktion.
Brigitte Blöchlinger und Maila Mertens
Mittlerweile gibt es verschiedene Apps, die Frauen bei der Kinderplanung (oder -verhütung) unterstützen. (Illustrationen Len Kästle)

Schon seit mehr als einem Jahr wünschen sich Anna und Paul ein Kind, doch es will einfach nicht klappen. Auch die App, die Anna nutzt und die eigentlich ihre fruchtbaren Tage anzeigen sollte, hat trotz getimtem Liebemachen nicht zum Erfolg geführt. Schliesslich wendet sich das Paar ans Universitäre Kinderwunschzentrum des USZ, wo die Abklärungen ergeben, dass es an der Qualität von Pauls Spermien liegt und eine künstliche Insemination zur ersehnten Schwangerschaft führen könnte. Nach kurzem Überlegen entscheiden sie sich für dieses Verfahren der assistierten Reproduktion – und haben schon bald Erfolg: Anna ist schwanger.

Unfruchtbarkeit kann man (oft) behandeln

20 Prozent der Schweizer Bevölkerung sind von medizinisch bedingter Unfruchtbarkeit betroffen. Diese wird am häufigsten mit einer Hormontherapie behandelt (9%), gefolgt von der künstlichen Insemination (5%) und der In-vitro-Fertilisation (4%). Am wenigsten nehmen Paare eine Samenspende in Anspruch (1%, sofern man nur die Verfahren der assistierten Reproduktion berücksichtigt, die in der Schweiz erlaubt sind).

Wie häufig die Verfahren der Fortpflanzungsmedizin genutzt werden (Grafik: CHARLS-Studie, Maila Mertens)

Dass man diese und viele weitere Zahlen zur assistierten Reproduktion kennt, ist einer neuen, repräsentativen Studie zu verdanken, der Swiss Assisted Reproduction Longitudinal Study (CHARLS).

Erste repräsentative Studie

CHARLS wurde im Frühjahr 2023 im Rahmen des Universitären Forschungsschwerpunkts «Human Reproduction Reloaded | H2R» der Universität Zürich vom Team des Soziologie-Professors Jörg Rössel durchgeführt. Die Forscher:innen verschickten schweizweit online einen 40-seitigen Fragekatalog mit Fragen zu den wichtigsten Verfahren der medizinisch unterstützten Fortpflanzung wie künstliche Insemination, In-vitro-Fertilisation, Samenspende, Eispende, Egg Freezing u.a. Die Befragten wurden gebeten, anzugeben, ob sie die aufgeführten Verfahren kennen, ob sie sie selbst in Anspruch genommen haben und für wie moralisch vertretbar sie sie halten.

5283 Schweizerinnen und Schweizer nahmen an der Umfrage teil; sie waren zwischen 18 und 101 Jahre alt und repräsentieren die schweizerische Bevölkerung hinsichtlich Sprachregionen, Kinderwunsch und weiteren soziodemografischen Variablen. Der Anteil der teilnehmenden Frauen war mit 56% etwas höher als in der Gesellschaft. CHARLS ist als Langzeitstudie angelegt, im Abstand von zwei Jahren werden die gleichen Personen erneut befragt.

Nutzung, Kenntnis und moralische Bewertung

Und was ist in der ersten Befragungswelle herausgekommen? Was halten Herr und Frau Schweizer von den heute gängigen assistierten Reproduktionstechniken? Welche kennen sie, und welche haben sie selbst angewandt? Die Doktorandin Maila Mertens, die ihren PhD dazu schreibt, hat für UZH News in den umfangreichen und für die Schweiz einmaligen Daten, die dank CHARLS zusammengekommen sind, nach Antworten gesucht.

 

Hormontherapie

Bei ungewollter Kinderlosigkeit kommt in der Schweiz am häufigsten eine Hormontherapie zur Anwendung. Im Fall einer Kinderwunschbehandlung erhalten Frauen meistens sogenannte Gonadotropine, die die gleichen Wirkungen wie die körpereigenen Hormone luteinisierendes Hormon (LH) oder follikelstimulierendes Hormon (FSH) haben. Ziel dabei ist es, dass Eizellen heranreifen.

Die Hormontherapie ist ausserdem immer Teil anderer Verfahren wie der In-vitro-Fertilisation oder der Eizellenspende.

Nutzung

9% der Befragten der CHARLS-Studie haben sich einer Hormontherapie unterzogen, um die Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft zu erhöhen.

 

Insemination

Bei einer künstlichen Insemination werden nach einer Sperma-Aufbereitung möglichst viele gut bewegliche, befruchtungsfähige Spermien kurz vor dem Eisprung in den Gebärmutterhals oder direkt in die Gebärmutter gespritzt. Die künstliche Insemination findet zum Beispiel Anwendung, wenn der männliche Partner Fruchtbarkeitsprobleme hat (niedrige Spermienzahl oder eingeschränkte Spermienmotilität). Ausserdem kann sie hilfreich sein, wenn die weibliche Partnerin Probleme mit dem Eisprung aufweist.

Wie moralisch vertretbar wird die Insemination von den Schweizer:innen wahrgenommen?

Akzeptanz

Die künstliche Insemination wird von allen in CHARLS abgefragten assistierten Reproduktionstechniken am besten akzeptiert. 72% der Befragten gaben an, dieses Verfahren für moralisch gut oder sehr gut vertretbar zu halten.

Nutzung

Die künstliche Insemination wurde von den Befragten am zweithäufigsten bei ungewollter Kinderlosigkeit angewandt.  5% haben davon Gebrauch gemacht.

Wissen

Das Wissen über Insemination wird von den Befragten eher hoch eingeschätzt. 36% gaben an, Insemination gut zu kennen; nur 8 Prozent hatten noch nie davon gehört.

 

In-vitro-Fertilisation (IVF)

Eine IVF-Behandlung wird durchgeführt, wenn Versuche auf natürlichem Weg oder mittels einer künstlichen Insemination nicht zu einer Schwangerschaft geführt haben oder wenn die Eileiter beschädigt sind oder fehlen. Im Idealfall wird der Frau eine grössere Anzahl Eizellen entnommen und im Labor (in vitro= im Reagenzglas) mit den Spermien des Mannes befruchtet. Die Qualität der Spermien muss dabei ausreichend gut für die Befruchtung der Eizelle sein. IVF erlaubt mehrere Versuche, schwanger zu werden, beziehungsweise ermöglicht es der Frau, mehrere Male schwanger zu werden.

Akzeptanz

60% der Befragten halten IVF als «gut» oder «sehr gut» moralisch vertretbar. 21% halten IVF für moralisch nicht vertretbar.

Nutzung

IVF wird in der Schweiz am dritthäufigsten bei ungewollter Kinderlosigkeit angewandt. 4% der Befragten haben davon Gebrauch gemacht.

Von den Befragten, die bereits eine In-vitro-Fertilisation genutzt haben, gaben etwa 68% an, in der Vergangenheit Unfruchtbarkeit erfahren zu haben, und 18% gaben an, gegenwärtig Unfruchtbarkeit zu erfahren. 14% der Nutzenden haben keine Unfruchtbarkeit erfahren.

Wissen

64% der Befragten halten ihr Wissen über IVF für hoch oder sehr hoch.

 

Egg Freezing

Das Einfrieren von Eizellen, auch bekannt als Egg Freezing, bezeichnet das vorsorgliche Einfrieren von unbefruchteten Eizellen. Durch dieses Verfahren haben Frauen, die sich ihren Kinderwunsch momentan nicht erfüllen können oder wollen, grössere Chancen auf eine spätere Schwangerschaft. Die Eizellen einer Frau müssen vor einer Entnahme zunächst reifen, was eine hormonelle Stimulation, unter anderem mit täglichen Spritzen, erfordert.

Dieses Verfahren wird normalerweise Frauen angeboten, die aus medizinischen Gründen, wie einer bevorstehenden Krebsbehandlung, ihre Eizellen für die zukünftige Verwendung einfrieren möchten. Aber auch persönliche Gründe, wie ein fehlender Partner oder das Erfüllen beruflicher Pläne vor dem Kinderkriegen, können Anlass für das vorsorgliche Einfrieren von Eizellen sein. Wenn keine medizinischen Gründe vorliegen, spricht man vom Social Egg Freezing.

Die Eizellen, die mittels Kryokonservierung in flüssigem Stickstoff gelagert werden, können in der Schweiz für maximal zehn Jahre gelagert und verwendet werden. Da das Einfrieren von Eizellen nicht direkt das Herbeiführen einer Schwangerschaft zum Ziel hat, ist es per Definition kein fortpflanzungsmedizinisches Verfahren im Sinne des schweizerischen Fortpflanzungsmedizingesetzes. Allerdings muss zum Zeitpunkt der Nutzung der Eizellen eine medizinische Indikation vorliegen, d.h. eine Schwangerschaft erscheint auf natürlichem Wege nicht möglich.

Akzeptanz

Egg Freezing gehört unter den aufgelisteten Verfahren zu jenen, deren moralische Vertretbarkeit eher hoch eingeschätzt wird. Mit 57% befindet sich mehr als die Hälfte der Befragten im oberen Bereich der Antwortmöglichkeiten. 24% schätzen die moralische Vertretbarkeit hingegen eher gering ein.

Soll Egg Freezing (weiterhin) gesetzlich erlaubt sein?

Wie bei der Samen- und Eizellenspende sollten die Befragten auch für das Einfrieren von Eizellen eine Einschätzung abgeben, ob das Verfahren weiterhin gesetzlich erlaubt sein sollte. Obwohl die moralische Vertretbarkeit zuvor eher hoch eingeschätzt wurde, findet sich eine überraschend hohe Ablehnung der Legalität des Verfahrens: Insgesamt 40% der Befragten stimmen überhaupt nicht oder eher nicht zu, dass das Einfrieren von Eizellen erlaubt sein sollte. 16% nehmen keine klare Stellung und 44% stimmen eher zu oder voll und ganz zu, dass es erlaubt sein sollte. Damit ist die Zustimmung nur leicht höher als die Ablehnung.

Dieses Ergebnis ist insofern überraschend, als das Einfrieren von Eizellen eine eher individuelle Entscheidung darstellt, die zunächst keine weitere Person betrifft (anders als z.B. bei einer Samenspende). Bei genauerem Hinschauen zeigt sich, dass ältere Personen sowie Menschen, die sich als religiös bezeichnen, skeptischer eingestellt sind gegenüber dem Einfrieren von Eizellen. Zudem lehnen Männer das Egg Freezing stärker ab als Frauen.

Nutzung

Über die Einstellungs- und Wissensfragen hinaus, wurden alle weiblichen Befragten unter 50 zudem gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, selbst Eizellen einzufrieren: 17% antworteten mit Ja, 61% mit Nein und 22% waren unschlüssig.

Abhängig von ihrer Antwort auf diese Frage wurden die Frauen anschliessend nach den Gründen ihrer Antwort gefragt.

Wissen

Ihr Wissen über Egg Freezing wird von den Befragten als recht hoch eingeschätzt. 41% kennen es ihrer Angabe nach gut; nur 4% der Befragten haben noch nie von Egg Freezing gehört.

Mit einem Mittelwert von etwa 4 ist das Verfahren ähnlich gut bekannt wie die Samenspende oder die Leihmutterschaft.

 

Embryo Freezing

Embryo Freezing ist eine Möglichkeit, um Paaren, bei denen die Spermien des Mannes eine verminderte Qualität aufweisen, zu einem eigenen Kind zu verhelfen. Nach der künstlichen Befruchtung von Ei- und Samenzellen entstehen Embryonen, denen am fünften oder sechsten Entwicklungstag (Blastozysten-Stadium) vorsichtig einige Zellen entnommen werden. Die Blastozysten werden eingefroren, bis das Resultat der genetischen Untersuchung bekannt ist. Sobald das Ergebnis vorliegt, können die weiteren Schritte geplant werden. Für einen Embryotransfer wird die Gebärmutterschleimhaut mit Hormontabletten (Östrogen) so vorbereitet, dass der Embryo ideale Bedingungen für eine Einnistung hat.

Akzeptanz

Das Einfrieren von Embryonen halten nur rund die Hälfte der Studienteilnehmer:innen für moralisch vertretbar. Noch weniger vertretbar halten sie nur noch die Leihmutterschaft und die Embryonenspende.

Nutzung

Von den Befragten haben 61 Personen (das entspricht 2%) angegeben, von Embryo Freezing Gebrauch gemacht zu haben.

 

Eizellenspende erlauben

Bei einer Eizellenspende werden einer Spenderin reife Eizellen entnommen. Diese nutzt man dann für eine künstliche Befruchtung: Die Eizellen werden künstlich mit Spermien befruchtet und anschliessend der Empfängerin eingepflanzt.

Im Gegensatz zur unkomplizierten Gewinnung von Samenzellen beim Mann, müssen die Eizellen einer Frau vor einer Entnahme zunächst reifen. Dies setzt eine hormonelle Stimulation voraus. Zudem gewinnt man die reifen Eizellen in einem operativen Eingriff, meist unter Narkose.

Die Eizellenspende ist in der Schweiz verboten; erste Diskussionen über eine mögliche Legalisierung des Verfahrens sind allerdings aktuell im Gang. Auch in Deutschland hat vor kurzem eine Expertenkommission der Bundesregierung Empfehlungen zur Legalisierung der Eizellenspende vorgelegt. Die Frage an die CHARLS-Teilnehmer:innen, ob das Verfahren erlaubt sein sollte, ist somit von grosser Relevanz, da es die derzeitige Sicht der Bevölkerung aufzeigt.

Akzeptanz

Die Schweizer Bevölkerung befürwortet zu 73%, dass die Eizellenspende  erlaubt werden sollte – so wie die Samenspende, die bereits legal ist. Hierzulande herrscht also eine eher positive Einstellung gegenüber einer Legalisierung der bisher verbotenen Eizellenspende.

Nur 13% der Befragten stimmten einer Legalisierung der Eizellenspende überhaupt nicht oder eher nicht zu.

Diese Resultate lassen darauf schliessen, dass die Schweizer Bevölkerung einer möglichen Legalisierung der Eizellenspende gegenüber bereits recht offen ist.

Die Eizellenspende wird im Vergleich zur Samenspende als etwas weniger moralisch vertretbar empfunden. Doch immer noch die Hälfte der Befragten sieht die Eizellenspende als moralisch gut bis sehr gut vertretbar an.

Die Eizellenspende wird moralisch nicht viel häufiger stark abgelehnt (14%) als die bereits erlaubte Samenspende.

Nutzung

In der CHARLS-Studie gaben nur gerade 13 Personen (von 5283 Personen) an, eine Eizellenspende (im Ausland) genutzt zu haben.

Wissen

Ihr Wissen über die Eizellenspende schätzen die Befragten etwas geringer ein als ihr Wissen über die Samenspende. 36% der Befragten kennen sich ihrer Angabe nach gut mit dem Verfahren aus, während 4% noch nie davon gehört haben.

 

Präimplantationsdiagnostik (PID)

Die Präimplantationsdiagnostik (PID) ist ein Verfahren, bei dem Embryonen vor dem Transfer in die Gebärmutter auf genetische oder chromosomale Abweichungen untersucht werden. Dies ermöglicht es Paaren mit einem hohen Risiko, eine vererbbare  genetische Krankheit an ihr Kind weiterzugeben, eine Schwangerschaft mit einem gesunden Kind zu planen. Die PID wird in der Regel angewendet, wenn einer oder beide Elternteile Träger einer schweren genetischen Erkrankung sind, oder zur Erkennung chromosomaler Eigenschaften, die die Entwicklungsfähigkeit des Embryos beeinträchtigen können.

Die PID wurde in der Schweiz im Jahr 2017 legalisiert und unterliegt strengen rechtlichen und ethischen Richtlinien. Das Verfahren beinhaltet normalerweise die In-vitro-Fertilisation (IVF), gefolgt von der genetischen Analyse der Embryonen (im Labor). Nur Embryonen, die frei von genetischen Anomalien sind, werden für den Transfer in die Gebärmutter ausgewählt. Die PID unterscheidet sich grundlegend von der Pränataldiagnostik, bei der die DNA des Fötus untersucht wird, wenn der Fötus sich bereits im Mutterleib befindet.

Akzeptanz

Die Befragten halten die PID als am wenigsten moralisch vertretbar von allen in der Befragung aufgelisteten assistierten Reproduktionsverfahren.

Die moralische Vertretbarkeit der PID fällt zwar gering aus, trotzdem stimmen 44% der Befragten der Aussage zu, dass das Verfahren in der Schweiz gesetzlich erlaubt sein sollte, und nur 39% lehnen das ab. Damit ist die PID ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Einschätzung der moralischen Vertretbarkeit nicht zwangsläufig die Akzeptanz des Zugangs zum Verfahren widerspiegelt.

Nutzung

Die Präimplantationsdiagnostik, welche nur in Verbindung mit einer künstlichen Befruchtung wie der IVF zur Anwendung kommen kann, wurde von 1% der CHARLS-Befragten genutzt.

Wissen

24% der Befragten gaben an, nicht von der PID gehört zu haben. Damit ist die PID die am wenigsten bekannte assistierte Reproduktionstechnik. Und das, obwohl sie im Jahr 2015 in der öffentlichen Debatte Aufmerksamkeit fand, als die Schweizer Bevölkerung ihre Legalisierung mit 62% Ja-Stimmen akzeptierte. Nur die Embryonenspende ist noch weniger bekannt als die PID.

 

Leihmutterschaft (verboten)

Bei der Leihmutterschaft trägt eine Frau (die Leihmutter) ein Kind für eine andere Person oder ein anderes Paar aus und übergibt es nach der Geburt an die Wunscheltern. Dabei wird zwischen kommerzieller und altruistischer Leihmutterschaft unterschieden: Bei der kommerziellen Leihmutterschaft erhält die Leihmutter einen Lohn für das Austragen des Kindes; während bei einer altruistischen, d.h. nicht-kommerziellen Leihmutterschaft lediglich eine Aufwandsentschädigung gezahlt werden darf.

Neben der finanziellen Unterscheidung können zudem zwei weitere Arten der Leihmutterschaft unterschieden werden: Bei der «traditionellen» oder genetischen Leihmutterschaft wird die Leihmutter mit den Samenzellen des Wunschvaters inseminiert, sodass die Leihmutter die genetische Mutter des Kindes ist. Bei der gestationalen Leihmutterschaft stammt die Eizelle nicht von der Leihmutter, sondern von der Wunschmutter oder einer Spenderin. Hierbei wird ein Embryo, der durch IVF im Labor gezeugt wurde, in die Gebärmutter der Leihmutter eingesetzt. Somit sind die Leihmutter und das resultierende Kind nicht genetisch verwandt.

In der Schweiz ist die Leihmutterschaft nicht erlaubt. In einigen Ländern ist sie gesetzlich erlaubt und reguliert – beispielweise ist in Grossbritannien, Griechenland und Kanada die altruistische Leihmutterschaft erlaubt. In einigen Bundesstaaten der USA sowie in Russland und der Ukraine ist zudem die kommerzielle Leihmutterschaft erlaubt. Unterschiede gibt es je nach Land auch im Zugang für Personen aus dem Ausland, beispielsweise für gleichgeschlechtliche Paare.

Es kann also durchaus vorkommen, dass Personen aus der Schweiz im Ausland Gebrauch von einer Leihmutter machen. Bei ihrer Rückkehr mit dem Kind in die Schweiz müssen sie sich dann jedoch auf eine Reihe von rechtlichen Hürden einstellen – die Anerkennung der Elternschaft ist zwar nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für einen genetisch verwandten Elternteil in der Regel gegeben, doch für einen genetisch nicht verwandten Elternteil ist dies schwieriger.

Leihmutterschaft wird oft von Paaren oder Einzelpersonen in Betracht gezogen, die aufgrund von medizinischen Problemen wie fehlender Gebärmutter oder schwerer Unfruchtbarkeit nicht in der Lage sind, auf natürliche Weise schwanger zu werden. Sie wird auch von gleichgeschlechtlichen Paaren in Anspruch genommen, die ein biologisches Kind bekommen möchten.

Akzeptanz

Die Leihmutterschaft stellt hinsichtlich der Einschätzungen der Befragten einen spannenden Fall dar, da sie ähnlich wie die Embryonenspende eine eher geringe moralische Vertretbarkeit zugeschrieben bekommt, gleichzeitig aber zu den Verfahren mit dem höchsten Bekanntheitsgrad gehört. Dies ist mit Sicherheit auch der medialen Aufmerksamkeit zuzuschreiben, die die Leihmutterschaft erhält. Wie auch bei der Embryonenspende schätzen fast die Hälfte der Befragten die moralische Vertretbarkeit der Leihmutterschaft gering ein; 29% empfinden sie durchaus als moralisch vertretbar.

Nutzung

In der CHARLS-Studie gaben nur 6 Personen an, dank einer Leihmutter (im Ausland) zu einem Kind gekommen zu sein.

Wissen

Nur 3% der Befragten gaben an, noch nie von Leihmutterschaft gehört zu haben. Hingegen kennen 40% das Verfahren gut. Damit ist die Leihmutterschaft ähnlich gut bekannt wie die Samenspende.

 

Gen-Editierung

Neue Entwicklungen im Bereich der Genetik könnten es ermöglichen, einige Krankheiten durch Veränderung der Gene eines Menschen zu behandeln. Mithilfe der Gen-Editierungs-Techniken könnte die DNA eines Embryos vor der Übertragung in die Gebärmutter, d.h. vor Eintreten einer Schwangerschaft, verändert werden. Jede solche Veränderung des Erbguts des Embryos würde an die nächste Generation weitergegeben werden, was langfristig die genetischen Merkmale aller nachfolgender Generationen verändern würde.

Da die Gen-Editierung an menschlichen Embryonen weltweit verboten ist bzw. verurteilt wird, wurden die Befragten in der Studie lediglich gefragt, ob und unter welchen Umständen die Gen-Editierung legal zugänglich sein sollte.

Die Ergebnisse veranschaulichen deutlich, dass die Skepsis der Gen-Editierung gegenüber sehr gross ist: Zwei Drittel aller Befragten sind dagegen. Lediglich 4% stimmen voll und ganz zu und 16% stimmen eher zu, dass Gen-Editierung gesetzlich erlaubt sein sollte.

 


CHARLS gibt einen ersten fundierten Einblick in das Wissen der Schweizer Bevölkerung über die Verfahren der assistierten Reproduktion, wie häufig man sie nutzt und wie sie moralisch bewertet werden. Nach und nach werden die Forschenden nun die umfangreichen repräsentativen Daten auf weitere Fragenstellungen hin auswerten. Insbesondere soll tiefergehend analysiert werden, welche Personen in der Schweiz besonders offen bzw. skeptisch gegenüber den Reproduktionstechniken sind, wer Zugang dazu haben sollte und welche Vorstellungen von Familie die Schweizer:innen heute haben.